www.riedls.de

 

 

 

 

 

 

Familie Riedl
Vertreibung aus dem Egerland / 1946

Vertreibung aus dem Egerland

Wie die Familie Rudolf und Klara Riedl die Zeit nach dem Zweiten Krieg in ihrer Heimatstadt Neusattl in Böhmen (Egerland) erlebte und im Jahre 1946 zwangsweise ausgesiedelt wurde.Riedls

Nach dem Krieg wurden über 16 Millionen Deutsche in den Jahren 1945 und 1946 aus Ostpreußen, Schlesien, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei vertrieben. Davon kamen 3 Millionen aus dem Sudetenland. So auch die Riedls.

1943 / Familie Rudolf und Klara Riedl mit ihren beiden Kindern Heinrich und Gretel im Garten vor ihrem Haus in Neusattl (heute Nove Sedlo in Tschechien). Hinten Klara und Rudolf mit Sohn Heinrich. Vorne die Großmutter Anna Riedl geb. Weiß mit Enkelin Gretel.


Zeitzeuge und Betroffener war auch mein Vater Heinrich Riedl der damals als 16 jähriger Jugendlicher mit seiner Schwester Gretel und den Eltern Rudolf und Klara 1946 aus dem Egerland (Sudetenland, liegt im heutigen Tschechien) vertrieben wurde.

Nachdem der Krieg 1945 nun endlich zu Ende war richtet man sich langsam wieder auf ein normales Leben ein. An Vertreibung von Haus und Hof war vorerst nicht zu denken, obwohl überall darüber gemunkelt wurde. Man wollte es nicht wahrhaben, Sorgen hatte man jetzt einfach genug.Neusattl

1940 Postkarte Neusattl / Kriegerdenkmal, Schule und Gemischtwaren-Handlung Dotzauer

 

Das Bäder-Dreieck Das Böhmische Bäderdreieck Karlsbad, Marienbad und Franzensbad war von den Amerikanern besetzt. Dieses Gebiet, so glaubte man, werden die Amis sicher nicht den Russen überlassen. Fast als Glück konnte man es bezeichnen, dass man im amerikanisch besetzten Teil des Sudetenlandes wohnte. Im östlichen Teil, in das die Russen einmarschierten, wurden die Deutschen teilweise nachts aus ihren Wohnungen geholt und mussten binnen weniger Minuten ohne jegliches Gepäck ihre Häuser verlassen.

Ab Juni 1945 musste jeder Deutsche eine weiße Armbinde tragen. Die Zeit zwischen abends 18 Uhr und morgens 6 Uhr war Sperrzeit. Kein Deutscher durfte sich in dieser Zeit auf der Straße blicken lassen. Keiner durfte sich ohne Erlaubnis von seinem Wohnort entfernen.

 

Soldat Rudolf Riedl Mein Opa Rudolf Riedl war im Oktober 1945 in sein Heimatdorf Neusattl zurückgekehrt, ist aber gleich am anderen Tag weiter nach Zwodau zu Verwandten. Ihm war zugetragen worden, er solle so schnell wie möglich die Tschechoslowakei verlassen, da er auf einer speziellen Suchliste der Tschechen stehe. Nachts ging es dann weiter über die Grenze nach Waldsassen. Dort hat er Arbeit auf einem Bauernhof gefunden. Seine Frau Klara besuchte ihn dort einige Mal. Als sich dann langsam die Vertreibung aus der Heimat abzeichnete, ging Rudolf zur Dienststelle der Deutschen Bahn nach Stuttgart. Dort hatte man ihm dann einen Arbeitsplatz als Eisenbahner in Stimpfach zugewiesen.

1945 / Soldat Rudolf Riedl (ganz rechts) mit seinen Kameraden an der Ostfront in Russland. Ihre Aufgabe war es, einen bestimmten Eisenbahnstrecken-Abschnitt zu überwachen und zu kontrollieren, so dass der Nachschub sichergestellt war.


Als die Tschechoslowakei vor dem Zweiten Weltkrieg den Ausnahmezustand ausrief und ihre jungen Männer zu den Fahnen rief, bekam auch Rudolf seinen Einsatzbefehl. Seine Wehrdienstzeit hatte er 1921 beim Tschechischen Militär geleistet. Wie viele seiner Kameraden kam er dieser Aufforderung nicht nach und wurde somit Fahnenflüchtiger. Später, nach dem Einmarsch Hitlers in das Sudetenland wurde er von den Deutschen zum Kriegsdienst gerufen.

Rudolf war nicht als Soldat im üblichen Sinne an der Front, sondern wurde im russischen Hinterland bei den Eisenbahnern eingesetzt. Deren Aufgabe war es eine bestimmte Schienenstrecke zu kontrollieren und einsatzbereit zu halten. Den größten Respekt hatten er und seine Kameraden vor Partisanen, die ja immer im Hinterhalt liegen konnten, und den man bei den Kontrollgängen fast schutzlos ausgeliefert war.Ziegengasse

 

Neusattl Nr. 42 Im Haus Neusattl Nr. 42 wohnten dann zu dieser Zeit ausschließlich Frauen und Kinder.

1945 / Das Bauernhaus der Riedls in Neusattl in der Falkenauer Straße 42 wurde von Schwiegervater Wenzel Weiß im Jahre 1896 erbaut. Vom Haus ist schon lange nichts mehr zu sehen. Es wurde in den 1960er Jahren abgerissen und dem Braunkohletagbau preisgegeben.

Onkel Heinrich, der älteste Bruder von Rudolf Riedl wohnte im eigenen, selbstgebauten Haus (am Sandhügel, ein Ortsteil von Neusattl). Tine Riedl (die Schwester von Rudolf) hatte ebenfalls eine eigene Wohnung in Neusattl. Nur der jüngste Bruder Gottlieb Riedl mit seiner Frau Irmgard und der Tochter Brigitte, ein Baby mit 9 Monaten, wohnten mit im Haus. Onkel Lieb aber, war nach dem Krieg erst mal verschollen und noch nicht nach Hause gekommen. Mit unterm Dach, gegenüber von Onkel Lieb, hatte die Großmutter Anna ihr Zimmer.

1896 /Auszug aus dem “Plan zu dem Neubau des Abbrändlers Wenzel Weiß in Neusattl”.

Landwirtschaftsgebäude mit Wohnung, Stall und Scheuer, Falkenauer Straße (im Volksmund Ziegengasse genannt), Neusattl Nr. 42.

Neusattl, den 1. Mai 1896.

Geburts- und Wohnhaus meines Vaters und seiner Eltern bis zum Tage der Vertreibung am 8.2.1946.

 

 


Die Goldgräber Die Menschen, sowie ihre Häuser und Wohnungen, waren der Willkür der tschechischen "Goldgräber" bei ihren häufigen Hausdurchsuchungen hilflos ausgeliefert. Unter dem Vorwand von Razzien nach Waffen oder politisch gesuchten Personen drangen immer wieder ganze Gruppen von Plünderern in die Wohnungen ein und nahmen mit, was ihnen gefiel. Immer wieder kamen die Tschechen ins Haus. Ohne vorherige Anmeldung natürlich. Kontrolle, Hausdurchsuchung hieß es knapp und bündig. 3-4 Mann waren es meistens, ebenso viele standen vorm Haus und hielten Wache. Schon vorher war bekannt gegeben worden, dass Autos, Motorräder, Fotoapparate, Waffen usw. abgegeben werden müssen.

Diese Durchsuchungskommandos bestanden meist aus einem Gemisch aus Militär, Polizei, ehemaligen Partisanen und Untergrundkämpfern, sowie Zivilpersonen. Oft waren es auch Tschechen aus dem tschechischen Kernland die zwar kein Wort deutsch sprachen, aber extra zu diesem Zweck ins Sudetenland eingereist waren.

Armbinde, wie sie nach dem Krieg von den in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen getragen werden musste. Die Armbinde musste immer sauber gewaschen sein. Die Stempel sind dadurch natürlich sehr schnell verblichen und mussten deswegen ausgestickt werden.

Die Armbinde wurde von Anna Kubik getragen. Sie wohnte damals in Altrohlau bei Karlsbad und war dort in einer Porzellanfabrik als Stenotypistin beschäftigt. Diese Armbinde hat sie mir 1983 in einem Weihnachtsbrief zugesandt, mit der Hoffnung, dass ich sie doch sicher in meinem Archiv gut gebrauchen könnte.

Das große P bedeutete “Prace = Arbeit”, für diejenigen Deutschen die in Arbeit standen. Urad prace-Karlovy Vary = Arbeitsamt Karlsbad (roter Stempel). Mistni spravni komise-Stara Role = Örtliche Kommission (Gemeindeamt)-Altrohlau (blauer Stempel).


Im ganzen Haus wurden Schränke und Truhen durchsucht. Was sie gefunden, beschlagnahmt und mitgenommen hatten wurde nicht bekannt gegeben. Es war auch nicht ratsam ihnen nachzulaufen um zu schauen, wo sie überall stöberten. Man war froh, wenn sie sonst nichts von einem wollten und anschließend wieder weitergezogen sind.

1938 Stempel Karlsbad / Mit dem Anfang kam das Ende. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 1. Oktober 1938 in das Sudetenland, begann das Ende für die Deutschen in der Tschechoslowakei.

Nachdem die Tschechen bis zu diesem Zeitpunkt ihr Minderheitenproblem nicht lösen konnten, reiften nun die Pläne einer “ethnischen Säuberung”, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Vertreibung der Deutschen endete.

In den Jahren 1945/46, nach dem Ende des Krieges, wurde im Sudetenland in wenigen Monaten mehr Blut vergossen, als hier in zweitausend Jahren geflossen war. Es wurde mehr zerstört, als selbst Kriege, Feuer und die Zeit in einem Jahrtausend vernichtet hatte.

Binnen zehn Minuten mussten die Häuser verlassen werden. Man durfte nichts mitnehmen. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis diese “wilden Vertreibungen” aufhörten und durch eine “humane Ausweisung” ersetzt wurden.

Die Familie Riedl wohnte im Kerngebiet des Sudetenlandes (Egerland) und hatte somit Glück im Unglück. Im Viehwagen mit je 50 kg Gepäck wurden sie im März 1946 “human” nach Deutschland ausgesiedelt.


Wenn diese Kommandos dann wieder weg waren schaute man natürlich sofort nach, was denn jetzt wieder alles fehlt. Aha, der Rasierapparat am Waschbrett, oder die Armbanduhr von Onkel Lieb war vorher noch da. Nicht alles was fehlt hat man gleich bemerkt. Wenn etwas nicht wiedergefunden wurde, dann hieß es nur, das haben diese Tschechen auf dem Gewissen.

Kurz vor Weihnachten 1945 kam zum dritten Mal dieser Besuch. Es waren wohl Leute vom Militär und Männer der Gemeindeverwaltung Nove-Sedlo. Das Haus ist beschlagnahmt hieß es, und gehört ab jetzt dem neuen Besitzer einem Tschechen. Der landwirtschaftliche Betrieb musste bis zum Eintreffen des neuen Besitzers weitergeführt und bewirtschaftet werden. Ansonsten wurde man als Saboteur bestraft.

Neusattl liegt im heutigen Tschechien. Nicht weit entfernt die ehemals weltberühmten Kur- und Badeorte Karlsbad, Marienbad und Franzensbad.

Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Böhmen zur K.K. Monarchie Österreich. Dieser Teil Böhmens, fast ausnahmslos von Deutschen besiedelt, war ein rein deutsches Sprachgebiet.

Mit der Gründung der Tschechoslowakei (nach dem Ende des Ersten Weltkrieges) wurden Führungskräfte vorwiegend durch Tschechen ersetzt. Tschechische Arbeitskräfte wurden bei
Stellenangeboten bevorzugt.

Diese systematische und geplante Unterwanderung wurde durch die, nun vorgeschriebene, tschechische Amtssprache stark gefördert.


Alle Zimmer wurden (so wie sie waren) abgeschlossen und durften nicht mehr betreten werden. Nichts durfte aus diesen Zimmern herausgenommen werden. Ein einzelnes Zimmer im Dachgeschoss durfte bis zur endgültigen Aussiedelung bewohnt werden.

Nachdem die Tschechen wieder abgezogen waren, wurde allen langsam bewusst was jetzt auf einen zukommen würde. Man stand da und hatte nichts. Keine Löffel und keine Messer, keine Teller, nichts woraus man Essen und Trinken konnte. Mein Vater Heinrich musste dann mittels eines Dietrichs das Notwendigste zum Leben aus den anderen Zimmern holen. Er ging quasi auf Diebestour im eigenen Haus. Fast zwei Monate dauerte dieser Zustand.

Der neue Besitzer Mitte Januar 1946 kam dann der neue Besitzer. Ein ca. 60 jähriger Tscheche, der (wie später zu erfahren war) aus dem Ruhrgebiet anreiste. Man hatte ihm ein Angebot an Haus und Hof gemacht, wenn er und seine Familie in die Tschechoslowakei zurückkommen. Sein ca. 30jähriger Sohn, der später anreiste konnte kaum tschechisch sprechen, und musste die Sprache erst neu erlernen.

Er zog in die Wohnung im Erdgeschoss ein. Am Scheunentor, das vorher nie abgeschlossen war, montierte er ein Vorhängeschloss, ebenso an den Ställen und Schupfen. Anfangs war er nur zeitweise anwesend. Er musste nun ja seine vier Kühe, Hühner, Gänse, Tauben und Hasen versorgen.

Von nun an musste man ganz besonders aufpassen, dass man bei der täglichen Lebensmittelbeschaffung nicht vom Tschechen erwischt wurde. Brauchte man zum Beispiel etwas Getreide zum Backen, dann musste man das Vorhängeschloss an der Scheuer mit dem Dietrich öffnen. Das war für den Schlosserlehrling Heinrich natürlich kein Problem. Heute würde man sagen "no risc no fun" (ohne Risiko kein Spaß). Die Getreidesäcke mussten von hinten aufgeschlitzt werden, damit man von vorne nichts merkte.

 

Die Erlösung Endlich, es war eine Erlösung, nach fast zwei Monaten des Wartens und der Ungewissheit war es dann soweit. Am 27. Februar 1946 erhielt meine Oma Klara Riedl die schriftliche Aufforderung zum Abtransport ins Reich. Der Abtransport nach Deutschland erfolgte in mehreren Schüben. Ein Transport bestand aus ca. 1200 Personen. Die Riedls waren gleich beim ersten Transport mit dabei.

1946 / Aufforderung Nr. 1369

Klara Riedlova geboren am 3.2.1907 Nove-Sedlo Nr.42

Anna Riedlova geboren am 17.4.1877

Jindrich (Heinrich) Riedl geboren am 19.9.1929

Margareta Riedlova geboren am 17.11.1938

Die oben aufgeführten Personen werden sich am 28.2.1946 um 10 Uhr mit Gepäck beim Gasthaus Dotzauer Neusattl zwecks Abtransport ins Reich befinden.


Außer meinem Vater Heinrich, der im Bergwerk eine Schlosserlehre begonnen hatte, waren dies für die Tschechen keine wichtigen Arbeitskräfte. Außerdem waren auch Grund und Boden vorhanden, und der sollte ja an die eigenen Leute verteilt werden. Alle die im Bergwerk arbeiteten, blieben vom ersten Vertreibungsschub verschont. Heinrich hätte noch bleiben dürfen, er wollte aber nicht.

1946 / Belehrung:
Für die für die Aussiedlung bestimmten Personen

1. Ausstattung mit Gepäck: Das zugelassene Gewicht des Gepäcks wird auf 50 kg pro Person erhöht. Es ist zu wünschen, dass die zum Abtransport bestimmten Personen sich die Lebensmittel, Essgeschirr sowie Decken in ein kleineres Handgepäck verpacken. Einzelne Gepäckstücke müssen mit einer dauerhaften und leserlichen Bezeichnung des Namens und der Adresse des Eigentümers versehen sein.

2. Das Absperren der verlassenen Wohnungen: Beim Verlassen der Wohnung zu der Sammelstelle ist die zum Abtransport bestimmte Person (Klara Riedl) verpflichtet, alle Eingänge in der, von ihr bewohnten Wohnung, bzw. Werkstätte, abzusperren und die Schlüssellöcher mit Klebstreifen so zu überkleben, dass man die Tür ohne Zerstörung des Streifens nicht aufmachen kann; dieser Steifen wird mit dem Namen der Person versehen. Die Schlüssel ordentlich zusammengebunden und mit Name und Adresse versehen werden von dem Eigentümer dem Vertreter der Mistini spravni komise abgegeben.

3. Freistellung der RM: Die abzutransportierenden Personen füllen, der Wahrheit gemäß, den beiliegenden Antrag für RM-Auszahlung aus. Den Antrag mit beigelegtem Sparbuch (bzw. Sparbücher), das auf dem Antrag eingetragen ist, gibt der Antragsteller in der Hauptsammelstelle auf Aufforderung ab. Andere Sparbücher muss er gleich an der Sammelstelle in der Gemeinde abgeben. Im Falle dass der Antragsteller kein Sparbuch besitzt, streicht er den Absatz A des Antrags durch.

4. Nichtbefolgungen der oben angeführten Anordnungen haben für die abzutransportierenden Personen Strafsanktionen zu Folge:


Onkel Heinrich (der Pate, so wurde er bei uns immer genannt, er war der Taufpate von meinem Vater Heinrich) durfte, oder musste in Neusattl bleiben. Auch er war gelernter Schlosser und als erfahrener Maschinist schon einige Jahre im Bergwerk Konkordia, auch Kaiser-Schacht genannt, tätig. Sein im Jahre 1939 neu erbautes Wohnhaus musste er allerdings an einen Tschechen abtreten. Erst nach seiner Berufstätigkeit im Rentenalter konnte er als Spätaussiedler zu seinem Bruder Rudolf nach Stimpfach ausreisen.

 

Zum Gasthaus Dotzauer Die Nachbarn haben mit ihrem Handkarren geholfen das Gepäck (50 kg pro Person) zum Gasthaus Dotzauer zu karren. Dort war Anlaufstelle und Kontrolle. Zum Hintereingang ging es rein. Das Gepäck wurde genau gewogen und kontrolliert. Im Schulranzen von Gretel wurde ein Uhrenwecker gefunden. Daraufhin wurde der Schulranzen komplett ausgeleert und sehr genau untersucht. Alle Kisten wurden geöffnet und penibel untersucht. Vieles was den Kontrolleuren gefiel wurde weggenommen und einbehalten.

1946“Transportzettel für Evakuanten”, wie ihn jeder Vertriebene aus Neusattl erhielt.


Riedls hatten Glück, aber es gab ja auch nichts zum Wegnehmen. Was hatte man denn schon Besonderes. Wertvolleres als Haus und Hof besaß man ja ohnehin nicht. Federbetten, Kleider, Schuhe, etwas Werkzeug, einiges zum Essen, das war es dann auch schon. Familienbilder, Fotos, Andenken und sonstige Wertgegenstände wurden bei den in der Heimat verblieben Verwandten zur Aufbewahrung verteilt.

So konnten einige, zum Teil sehr alte Familienbilder (z.B. Familienbild Weiß 1900) über diese schwere Zeit hinweg gerettet werden.

 

Onkel Lieb Onkel Lieb (Gottlieb Riedl, ein Onkel meines Vaters) konnte so einige sehr interessante Familienbilder und Andenken mit nach Deutschland bringen, und so vor der Zerstörung retten. Auch er war im Bergwerk (als Kaufmann) tätig. Außerdem stammte seine Frau Irmgard aus dem Saarland, und das war momentan in französischer Hand. Als halber Franzose war Onkel Lieb von diesen Austreibungs-Exzessen verschont. Er ist erst einige Jahre später, als sogenannter Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Das hatte einen großen Vorteil, er konnte fast alles was er mitnehmen wollte auch mitbringen.

 

Die Deutsche Schule Nach dieser Abfertigung und ersten Kontrolle wartete am Haupteingang des Gasthauses Dotzauer ein Last-wagen für den Weitertransport. Das Gepäck wurde aufgeladen, und zu Fuß ging es zur deutschen Schule. Heinrich hatte etwas Probleme beim Gehen, denn zwei Anzüge und zwei Mäntel übereinander angezogen, ließen wenig Bewegungsfreiheit.

1935 Postkarte / Die deutsche Schule in Neusattl. Sie wurde nach dem Krieg im Frühjahr 1946 als Durchgangslager für die zu vertreibenden Deutschen aus Neusattl und Umgebung benutzt.


Die deutsche Schule in Neusattl diente als Zwischenlager bis zum endgültigen Abtransport mit der Eisenbahn. Die Klassenzimmer waren mit dreistöckigen Betten ausgestattet. Heinrich (und andere Jugendliche) mussten die Wagen der Ankommenden abladen und in der Schule verstauen. Das Gepäck wurde in den Gängen gestapelt, so gut es eben ging, man konnte gerade noch so hindurchlaufen. Die Frauen wurden zu Arbeiten in der Küche eingeteilt. Das Essen für die Lagerinsassen musste gerichtet werden.

Kartoffel schälen, kochen, spülen usw. immer gab es irgendwelche Arbeiten. Es wurde sehr darauf geachtet, dass die Leute beschäftigt waren, denn der fast vierwöchige Aufenthalt in der Schule sollte niemand auf dumme Gedanken bringen. Die Jungen, zum Beispiel, mussten mehrfach das Gepäck auf- und umräumen. Immer wieder wurde auf Lastwagen verladen und anschließend musste alles wieder zurück in die Gänge.

Die Schule konnte nicht verlassen werden, sie war umzäunt. Ab und an, wenn ein Freund oder Bekannter, außen am Zaun stand hat man sich ganz vorsichtig bis zum Zaun vorgewagt.

 

Am Bahnhof Neusattl Dann endlich war es soweit. So um die 40 Viehwaggons wurden zum Neusattler Bahnhof gebracht. Wieder einmal wurden die Lastwagen von den Jungs beladen und am Bahnhof gleich auf die entsprechend nummerierten Waggons umladen. Heinrich und seine Kameraden fuhren mit den Lastwagen mehrfach hin und her, bis alles Gepäck verladen war.

1941 Postkarte / Bahnhof Neusattl mit dem Elektrizitätswerk im Hintergrund.


Bei Nacht, man hatte wohl Angst, dass es zu einem Aufstand kommt, war Abmarsch und Verladung der Menschen. Viele Deutsche standen am Straßenrand und verabschiedeten sich von ihren Bekannten, Verwandten und Freunde. Man wurde auf die Waggons verteilt, ca. 30 Personen pro Waggon, je nach Familienzughörigkeit.

Drei Tage stand man im Bahnhof in Neusattl, fest eingeschlossen in einem Viehwaggon. Gleich, nachdem man die Waggons bestiegen hatte, wurde der Riegel vorgeschoben. Tagsüber wurden er etwas geöffnet, so dass die Schiebetür einen Spalt offen stand.

Tante Amalie (Amalie Waltensdorfer, die Mutter von Klara) ließ sich mit ihren 70 Jahren nicht von den Tschechen einschüchtern, und reichte jeden Tag etwas zu Essen und Trinken durch den Türspalt. In einer Ecke, die etwas durch das Gepäck geschützt war, stand ein Kübel für die menschliche Notdurft. Ob dieser geleert wurde, war nicht mehr bekannt.

Endlich setzte sich der Zug im Schritttempo in Bewegung. Nach fast einem Tag (stop and go) war die Strecke nach Eger mit knappen 35 km bewältigt. In Eger gab es wieder einen Tag Aufenthalt. Alles Gepäck musste nun in einen bereitstehenden deutschen Zug umgeladen werden. Dabei ging viel kaputt und verloren, man konnte nicht einfach in den gegenüberliegenden Waggon wechseln, sondern musste genau die Nummern beachten. Alles lief kreuz und quer durcheinander, man wurde zur Eile angetrieben.

 

Endlich Deutschland Endstation war Bayreuth in Bayern. Dort diente ein ehemaliges russisches Gefangenenlager als Auffangstelle für die Neusattler. Heinrich wunderte sich, warum dort oben an der Decke so viele Blechbüchsen hingen. Um dies zu klären wurde natürlich nachgeschaut. Als eine Ladung Wasser auf ihn herunterkam, war alles klar. Bei Regenwetter dienten die Büchsen als Wassertropfensammler.

Einige Tage später wurde, da Rudolf in Stimpfach eine feste Arbeitsstelle als Weichenwärter hatte, die Zuzugsgenehmigung nach Baden-Württemberg erteilt.

 

Endstation Stimpfach Nach der Ankunft am Bahnhof Stimpfach wurde erst richtig bewusst, was man doch alles verloren hatte. Das so verbliebene Hab und Gut passte alles auf einen zweirädrigen Eisenbahnerkarren. Zu Fuß und Karren ging es dann zum zugeteilten Quartier.

Das Rathaus Stimpfach hatte für die Riedls ein Ein-Zimmer-Quartier beim "Unteren Streitbauern" bereitgestellt. Der Bauernhof lag etwas abseits der Gemeinde Stimpfach. Das eine vorhandene Bett bekam die Großmutter Anna. Für die andern Nachtlager wurde Stroh in große Säcke abgefüllt. Heinrich musste dies von einem Bauern (ca. 2km entfernt, in Appensee) besorgen, da der Streitbauer (zu dieser Jahreszeit), selbst nichts entbehren konnte.
Eine Wohnküche, in der man auch schlafen musste. Später kam noch ein zweites Zimmer dazu, und irgendwann konnte man sich auch eine blecherne Badewanne leisten. Dies war nun also die neue Heimat.

Vier Jahre war man Untermieter beim Streitbauern, dann wurde im Bahnhof Stimpfach eine Wohnung frei. Am 1.6.1950 konnten die neuen Räume für einen Mietzins von 19,79 DM monatlich bezogen werden. Langsam ging es bergauf, man gewöhnte sich wieder an normale Lebensverhältnisse, das deutsche Wirtschaftswunder machte es möglich.

 

Nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt und zusammengetragen in langen Gesprächsabenden mit meiner Oma Klara Riedl und meinem Vater Heinrich Riedl als Geschenk zum 70ten Geburtstag für meinen Vater. Ich habe nichts beschönigt und auch nicht übertrieben. Ich habe versucht, das Erlebte so nachzuerzählen, wie diese Zeitzeugen es mir berichtet haben. Wasseralfingen, am 19.9.1999 Richard Riedl.

 

Homepage der Familie Riedl